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Der Todesschuss vom Märkischen Viertel

Andrea H. wurde im August 2011 von einem Berliner Polizisten erschossen. Vor kurzem wurde der Todesschütze, ein Zugführer der 23. Berliner Hundertschaft von allen Vorwürfen freigesprochen. Kritik gibt es mittlerweile von allen Seiten. Unabhängige Beobachter_innen und Spezialisten bewerten den Einsatz als Fehler, nur die Berliner Polizei sieht bei dem Vorfall immer noch eine klare Notwehrsituation.

Schon zweimal hatte das Amtsgericht Wedding Andrea H. vorgeladen. Es ging um die Unterbringung in einer Klinik. Den Aufforderungen kam die 53 jährige jedoch nicht nach. Dieses Mal wollte eine Mitarbeiterin des Bezirksamts und zwei Polizisten jedoch ernst machen. Sie klingelten an der Tür einer betreuten Wohngemeinschaft für psychisch auffällige Menschen im Senftenberger Ring. Nachbar_innen im Märkischen Viertel war die als schmal und klein beschriebene Frau eher ruhig und unauffällig in Erinnerung. Durchweg herrscht Unverständnis darüber, dass Andrea H. nicht anders gestoppt werden konnte.

Als es an der Tür der Wohngemeinschaft klingelt öffnet nicht etwa ein Betreuer die Tür, der in so einem Fall sicher deeskalierend gewirkt hätte, sonder Andrea H. selber. Als sie mitgenommen werden soll, wehrt sie sich nach Aussagen der eingesetzten Beamten mit einem Messer und verletzt einen der Beamten am Arm. Diese setzten daraufhin Pfefferspray ein. Andrea H. zieht sich zurück in ihre Wohnung, heisst es weiter. Die Tür scheint wieder geschlossen worden zu sein. Nun wird Verstärkung gerufen. Laut einigen Medienberichten wurde sogar ein SEK angefordert, schon hier beginnt eine vollkommen fatale Spirale. In solch einer psychologischen Notfallsituation ist weder ein SEK, noch die Einsatzhundertschaft der Berliner Polizei richtig am Platz. Polizeiwissenschaftler Professor Thomas Feltes von der Ruhr-Uni Bochum sagte zu dem Geschehen unter anderem, die Polizisten hätten sich angesichts des Widerstands der Frau zurückziehen und einen Psychologen oder Familienangehörigen rufen sollen. Auf jeden Fall hätten sie die Tür ruhiger öffnen müssen. Was die eintreffenden Beamten der 23. Einsatzhundertschaft dann taten, muss Andrea H. in bloße Panik versetzt haben. Zunächst rammten die Beamten mit einem Rammbock die Tür ein, kurz darauf drangen sie mit einem Schild in die Wohnung ein. Andrea H. stand zu diesem Zeitpunkt wohl in einer Zimmerecke. Laut Aussagen der eingesetzten Beamten stürmte Andrea H. plötzlich auf den Beamten mit dem Schild zu, beide fielen zu Boden. Andrea H. soll nun laut Aussagen der Beamten versucht haben mit einem Messer in Richtung des Kopfes des am Boden liegenden Beamten zu zielen. Daraufhin schoss der Zugführer einen Schuss auf Andrea H. ab, traf die Niere. Sie fiel zu Boden und verblutete und starb in ihrer Wohnung.

„Wer Polizisten mit einem Messer angreift, muss damit rechnen, erschossen zu werden.“ bellte Bodo Pfalzgraf von der Deutsche Polizeigewerkschaft schon am nächsten Tag. Andrea H. litt unter Wahnvorstellungen und fürchtete sich dabei besonders vor Einbrechern, wie nun bei den Nachermittlungen zum Vorschein kam. Ein Gespräch mit den Betreuern im Vorfeld des Einsatzes hätte zur Entspannung der Situation deutlich beitragen können. Überhaupt kommt es immer wieder zu massiven Zuspitzungen in solchen Situationen, bei denen psychisch auffällige Menschen einem Arzt vorgeführt werden sollen. So erscheint es vollkommen unverständlich in solch einer Situation gewaltsam in eine Wohnung einzudringen. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen wegen des Schusses bereits Mitte September 2011 eingestellt. Der Schütze habe in Nothilfe in einer Art Notwehr zugunsten anderer Beteiligter gehandelt, um einen bedrohten Kollegen zu retten. Wie es zu der Situation gekommen war und ob sie durch ein anderes Vorgehen vermeidbar gewesen wäre, hatte die Staatsanwaltschaft nicht untersucht. Auch disziplinartechnisch innerhalb der Behörde ist der Beamte von allen Vorwürfen freigesprochen worden und fährt nun wieder täglich mit seiner Clique durch Berlin.

Bei einer Kundgebung kurz nach dem Todesschuss zeigte sich auch der Unmut der Nachbar_innen im Viertel. Viele schauten aus den Balkonen, einige riefen ihren Unmut über den Vorfall aus den Fenstern. Die Beamten des Abschnitts die zur Sicherung eingesetzt waren versteckten sich in den Durchfahrten und zwischen den Hecken, offensichtlich spürten sie die Spannung die ihnen entgegen schlug. In den letzten Jahren starben bei Polizeieinsätzen in Berlin immer wieder Menschen, die bei genauerem Hinsehen der Fälle noch unter uns weilen würden. Auch die vollkommen perverse Forderung an die Mutter von der Finanzverwaltung Berlins, den Schaden an einem Zivilfahrzeug nach den tödlichen Schüssen zu zahlen, die Reihard R. auf Dennis J. in der Sylvesternacht 2008/09 abfeuerte, zeigt wie selbstverständlich und bürokratisch mit solchen Fällen umgegangen wird. Nicht verwunderlich das die Angriffe auf Polizeibeamte in Berlin stetig steigen.

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